Den Weg zur Gotteskindschaft am Beispiel
des Erdenlebens des alten Lazarus verstehen

Ich werde dir heute noch etwas mehr über die Liebe er­zählen.
Du bist dem Bösen begegnet. Du weißt, dass es real ist.
Das Böse, auf das du getroffen bist, war das Böse,
das du selbst geschaffen hast. Doch es gibt Zeiten,
in denen du dem Bösen begegnest,
das von anderen geschaffen wurde.
Wenn das eintritt, stehen dir vier Möglichkeiten offen:
Du kannst dich entscheiden, das Böse zu ignorieren, davonzulaufen,
seine Grenzen zu bestimmen
oder seine Auswirkungen be­reitwillig zu erdulden.

Wenn du es ignorierst oder gar keine Entscheidung triffst,
wirst du sein Opfer. Wenn du davonläufst,
machst du dich verwundbar für Angriffe,
denn das Böse könnte sich nun seinerseits entscheiden,
dich anzufal­len.
Legst du seine Grenzen fest und verteidigst sie dann,
wirst du seine Auswirkungen beschränken.
Wählst du die vierte Möglichkeit
und entscheidest dich bereitwillig,
die Auswirkungen des Bösen auf dich zu nehmen,
kannst du seine Macht ins Gute verkehren.
Wenige treffen diese Wahl, aber diejenigen, die es tun,
verändern die Welt.
Die vierte Möglichkeit kann nur durch Liebe
herbeigeführt werden.
Sie ist die wirksamste von allen.

(Quelle: Patton L. Boyle, "Der Ruf des Falken", Ansata Verlag, Seite 67-73)


Die Lebensgeschichte
des alten Lazarus

(Quelle: Jakob Lorber, „Großes Evangelium Johannes", Band 4, Kap. 138)
Der alte Lazarus [Anm.: Der Vater desjenigen Lazarus, den Jesus wiedererweckt hat] ward infolge seines höchst eigenen Willens als ein großer, urgeschaffener Engelsgeist ins Fleisch eines Menschen gelassen, und zwar unter den schwierigsten Lebensbedingungen, die es auf dieser Erde nur irgend geben kann. Von der Wiege an bis in sein siebenundvierzigstes Erdlebensjahr hat er Dinge und Proben ausgestanden, die hier nicht leicht wieder zu erzählen wären. Wie oft hatte er mit vielen Lebensgefahren zu kämpfen! Wem aus euch die Lebenshistorie Hiobs bekannt ist, der kann sich daraus aber nur so ein Bild machen von dem, wie es unserem Lazarus ergangen ist.

Er ward ein paar Male zu den höchsten Weltehren befördert und kam zu großen Reichtümern, hatte ein Weib und die schönsten und bravsten Kinder, fünf an der Zahl, die ihn als einen guten und weisen Vater sehr liebten. In seinem neunzehnten Jahre verheiratete er sich mit einer einzigen Tochter eines reichsten Mannes aus Bethlehem; sein Gold und Silber und die schönsten Perlen und Edelsteine hätten hundert Kamele nicht leichtlich von der Stelle geschafft. Allein dies sein großes Erdenglück dauerte nur eine kurze Zeit. Seine Schätze verflüchtigten sich von Jahr zu Jahr, er ward als ein guter und zu nachsichtiger Mensch häufig und oft ganz bedeutend bestohlen; am Ende brach in seinem zumeist aus Zedern gezimmerten Hause Feuer aus, und er konnte von allen seinen Schätzen nichts retten als sein, seines Weibes und seiner Kinder Leben und mußte darauf nahe von Almosen leben bei drei Jahre lang.

In den drei Jahren aber starben ihm auch sein Weib und alle seine lieben fünf Kinder. Er selbst ward voll Aussatzes und litt daran ein volles Jahr. Ein Arzt aus Ägypten kam endlich mit einem Arkanum und befreite ihn völlig von diesem Übel. Er ward darauf als immer noch ein schöner Mann von vierunddreißig Jahren Alters auf einem Wege von geheimen Häschern aus Hinterpersien überfallen und dahin ohne alle Rücksicht als Sklave an einen äußerst harten Herrn verkauft.

Da er aber unter allen den vielen Sklaven seines Herrn der treueste war und alle Härte seines Herrn stets mit der größten Geduld und Ergebung ertrug, so berief ihn sein Herr nach zehn Jahren und sagte zu ihm: ,Ich habe dich erforscht in aller meiner Härte gegen dich, daß du mir allergetreuest warst und hattest dir zu meinen oft großen Vorteilen keine Mühe und Arbeit sauer werden lassen. Wenn ich von dir viel verlangte, so tatest du allzeit ein mehreres und oft zu meinem Vorteile. Ich bin wohl ein harter Herr - dies Zeugnis gibt mir alle Welt -, aber ohne Augen und ohne Einsicht und Erkenntnis bin ich darum nicht; und weil ich das nicht bin, so gebe ich dir die volle Freiheit! Du kannst nun ganz getrost nach Hause in dein Land ziehen. Zudem schenke ich dir als Zeichen meiner Einsicht für deine treuen Dienste noch hundert Kamele, zehn meiner schönsten Sklavinnen und neunzig Knechte; und damit du dir überall etwas ankaufen, weiter leben und handeln und wandeln kannst, soll dir mein Schatzmeister tausend Säckel Goldes und zweitausend Säckel Silbers ausbezahlen! Siehe, so belohnt der harte Herr einen getreuesten Sklaven und doppelt so groß einen getreuesten Knecht, den ich aber leider noch nie gehabt habe! Ziehe nun getrost ab mit allem, womit du von mir, deinem harten Herrn, beschenkt worden bist!'
Da verneigte sich Lazarus tiefst vor seinem Herrn und wollte danken. Der aber sagte mit ernsten Worten: ,Freund, wer einen Lohn verdient wie du, der braucht nach dem Empfange dem Geber nicht zu danken! Darum ziehe ab in Frieden; es sei und es geschehe!'
Da verließ Lazarus, bis zu Tränen gerührt, den Saal, und als er in den großen Hofraum trat, war alles schon bereitet: Kamele, die zehn Sklavinnen und die neunzig Diener, und jedes der kräftigsten Kamele war beladen mit Gold und Silber.
[GEJ.04_138,08] Lazarus bestieg sein Kamel, und es ward der Marsch angetreten. Nach zehn ganz heiteren Reisetagen erreichte er wieder Bethlehem, nahm Herberge und erkundigte sich nach seinem früheren Besitze. Dieser ward aber nach den römischen Gesetzen, weil der ordentliche Besitzer trotz allen durch eigene Herolde ergangenen Ausrufungen nichts von sich hören ließ, als ein römisches Staatsgut veräußert und schon vor drei Jahren als ein vollkommenes Besitztum dem Ersteher eingeantwortet. Denn sieben Jahre lang war er gewisserart nur Pächter; kam im siebenten Jahre der früher abhandengekommene Besitzer zurück, so stand ihm noch das Reklamationsrecht offen, - nur mußte er dem Ersteher das Meistgebot samt Interessen zurückerstatten, weil da dieser als ein Geschäftsleiter ohne Auftrag anzusehen war und für seine Mühewaltung gesetzlich honoriert werden mußte. Nach abgelaufenen vollen sieben Jahren aber trat der Ersteher in den für weiterhin unantastbaren vollen Besitz eines solchen erstandenen Gutes. Und also war es auch da in Bethlehem mit dem Besitzgute des Lazarus der Fall. Der Ersteher war nun voller Besitzer, geschützt durch Roms Gesetze, und unser Lazarus mußte unverrichteterdinge weiterziehen.

Ein ganzes Jahr mußte er in den Herbergen zubringen, bis endlich in Bethania ein bedeutendes Gut, das einem Griechen angehörte, zum Verkaufe kam. Um fünfzehnhundert Säckel Silbers brachte es Lazarus in seinen vollen Besitz und heiratete dann in seinem siebenundvierzigsten Jahre eine seiner treuesten Sklavinnen, die auch eine Jüdin war, und er zeugte mit ihr eben den jungen Lazarus und dessen beide Schwestern. Nach zehn Jahren schenkte auch er allen seinen aus Persien mitgenommenen Dienern die vollste Freiheit; aber es verließ keiner den Lazarus und heutigentags leben noch dreiundfünfzig der mitgenommenen. Alle aber traten schon in zwei Jahren zum Judentume über und waren dem Lazarus desto werter und angenehmer. Das Weib starb erst vor zwei Jahren, auch als ein Muster weiblicher Duldung und Frömmigkeit, und seit der Zeit wirtschaften die drei hinterlassenen, sehr braven Kinder ganz allein; außer Gott haben sie nahe keine Bedürfnisse und tun den Armen wohl sehr viel Gutes."

139. Kapitel
Da aber der alte Lazarus seine irdische Lebenslaufbahn gar so gut vollendet hatte und an seiner früheren himmlischen Vollkommenheit nicht nur nichts verloren, sondern nur äußerst vieles gewonnen hatte, so vereinigten sich um die Zeit des Abschiedes unseres tiefstgeprüften und seine Probe bestens bestanden habenden Engels Myriaden der vollkommensten Engel und wirkten auf die Naturgeister dieser Erde also ein, daß diese sich in eine gleiche Tätigkeit versetzen mußten, wie da tätig sein müssen die Naturgeister der Sonne. Durch diese außerordentliche Tätigkeit der Myriaden auf einem engen Raume zusammengedrängten Geister entstand jenes von dir, von deinem Vater und von dem jungen Lazarus gesehene Licht, gerade im Momente, als des alten Lazarus Engelsseele und Geist sich von den Banden des Fleisches loszuwinden begonnen hatte.

Die dieses Licht gegen Westen hin begleitenden, dir sichtbar gewordenen Geister haben sonst mit der Erscheinung weiter keinen andern und besondern Zusammenhang, als daß sie durch eine so außerordentliche Tätigkeit der Naturgeister, die sonst unter ihrem Kommando stehen, selbst ganz ungewöhnlich erregt worden sind und dann auch selbst, nicht ahnend, was da vor sich geht, sich zu einer teils flüchtigen und teils scharf beobachtenden Bewegung und ängstlichen Tätigkeit als genötigt haben bequemen müssen.
Daß der Zug von Osten gegen Westen, nach deiner Kunstsprache, zu sehen war, bedeutet einen bedeutungsvollen irdischen Sterbefall, entsprechend dem, wie da alles auf der Erde vom Osten her, wo die Sonne aufgeht, mit deren Aufgange erwacht und alles mit ihrem Untergange wieder in den Schlaf erstirbt. Zugleich aber entspricht der irdische Abend ganz umgekehrt dem rein geistigen Morgen und umgekehrt der irdische Morgen dem geistigen Abende; denn am irdischen Morgen fangen die meisten Menschen an, sich möglichst mit den Weltsorgen abzugeben, und diese sind ein wahrer und tiefster geistiger Abend ohne Dämmerung oft genug, also schon eine förmliche geistige Nacht. Nur am Abende, der Weltsorgen müde, bequemen sich dann viele, über die Flucht des Zeitlichen nachzudenken und sich zu Gott zu kehren, und das entspricht dann zum wenigsten doch einem geistigen Morgendämmern.

Das wäre sonach für euer Verständnis zur Genüge erklärt, und ihr wisset nun um das Wie und Warum des geistigen und naturmäßigen Zusammenhanges der großen nächtlichen Lichterscheinung und um ihre geisterhafte Begleitung.

Nun gehen wir in das Sterbegemach des alten Lazarus! Dort sahst du keine zertragene Dunstgestalt über dem Leichnam schweben, sondern schon mehr eine volle Menschenform. Der Grund davon liegt in der großen Liebe zur Tätigkeit, was schon ein vollendetes inneres, geistiges Leben andeutet, das aller Furcht vor der kommenden großen Tätigkeit im endlosen Reiche der Himmel vollkommen bar ist. Die Angstvibrationen der Seele können da nicht stattfinden, und somit ist die seelische Menschenform schon gleich beim ersten Austritt aus dem Leibe als unzertragen und in voller Ruhe ersichtlich, natürlich für den, der solches zu schauen das seltene Vermögen hat.
Der kleine und äußerst dünne Bindefaden zwischen der Seele und ihrem Leibe bekundet den stets allergeringsten Sinn fürs Irdische und somit auch das vollkommenst leichte und schmerzlose Lostrennen vom Leibe. Die gleiche Lichterscheinung über dem Haupte der Seele aber bekundet vor allem den mächtigsten Willen der Seele selbst, durch dessen außerordentliche Tätigkeit nach der Ordnung der Himmel er sich als eine Lichtsäule über dem Haupte darstellt, - als Säule, entsprechend der Unbeugsamkeit, und als Licht, das stets ein Produkt der gerechten Tätigkeit ist, entsprechend der göttlichen Ordnung der Himmel Gottes, welches Licht stets das Erkenntnisvermögen der Seele durchstrahlt und vollauf erleuchtet, damit der Wille nicht blind, sondern allzeit hellst sehend handle.

Weil aber des Gerechten Denken hauptsächlich nur vom Herzen ausgeht, so wie auch der Liebe und des Willens Sitz nur darin zu suchen ist, so wird der freien Seele Willenslicht, das im irdischen Leben nur im Verein mit dem Verstande des Hauptes zu wirken hatte, nun zum Gürtel des Kleides der Liebe und Gerechtigkeit, Geduld und Duldung, zu schauen um die Lenden der freien Seele; der Hut aber bezeugt eine neue Gabe des reinsten Lichtes aus den Himmeln, das aber dennoch nur jenen extra hinzugegeben wird, die sich schon auf der Erde der wahren himmlischen Weisheit beflissen haben und daraus zu Menschen voll Liebe, Weisheit und der wahren himmlischen Gerechtigkeit geworden sind. Solch ein Lichthut ist dann ein Produkt des Weisheitswillens der sämtlichen urgeschaffenen Engel der Himmel und bekundet bei dem, der ihn trägt auf seinem Haupte, daß er nun als ein ganz vollendetes und Gott ähnlichstes Wesen in alle Weisheit und in alle Erkenntnisse aller Himmel eingeweiht ist.

Solch ein auch das Fleisch des Erdenlebens durchwandert habender Geist der Himmel erkennt dann so viel für sich allein, als alle die anderen, den Weg des Fleisches noch nicht betreten habenden urgeschaffenen Engelsgeister zusammengenommen, weil solch ein Hut, ebenso wie des Menschen Seele ein Kompositum aller irdischen Intelligenzpartikel ist, auch ein Kompositum sämtlicher Himmelsintelligenzen ist, was da sicher unendlich viel sagen will.

Ich meine nun, daß ihr alle diese etwas außergewöhnlichen Erscheinungen wohl verstehen werdet. Hat aber jemand noch irgendeinen Anstand, nun, so frage er, und es soll ihm Licht werden! Denn die Himmel tauen denen ein rechtes Licht, die gerecht und eines guten Willens sind. Fraget darum ohne Scheu, so euch noch irgend etwas abgeht!"